Wildberg: Martinskirche

Die Wildberger Stadtkirche ist die Martinskirche. Urkundlich wurde sie als solche erstmals 1450 erwähnt. Die Kirchen benachbarter Siedlungen am östlichen Rand des Schwarzwaldes und im oberen Gäu wurden denselben vier Patronen geweiht (nach Decker-Hauff): Michael, Martin, Mauritius und Maria und bilden jeweils eine Gruppe. Im Bereich der heutigen Stadt Wildberg waren dies die Kirchen in Untersulz, Gültlingen, Obersulz (besteht nicht mehr) und Effringen. Wildberg ist als Burgsiedlung erst im 13. Jahrhundert entstanden.

Zur Stadtgründung von Burkhard II. bestanden die umliegenden Orte bereits. Daher wurde die Wildberger Gemarkung aus den Bereichen der alemanischen Urdörfer Effringen, Gültlingen, Jettingen und Sulz herausgetrennt und war deshalb relativ klein. Die Kirchen von Wildberg und Umgebung gehörten ehemals zum Bistum Konstanz. Das Stadtgebiet westlich der Nagold war einst Effringer Markung. Daher wäre eigentlich die Effringer Kirche als Mutterkirche der neu entstandenen Wildberger Kirche in Frage gekommen. Schirmherr in Effringen war jedoch das Kloster St. Georg in Stein am Rhein im Thurgau/Schweiz − datiert auf das Jahr 1005. Die Kirche im benachbarten Sulz gehörte dagegen dem Landesherrn, daher wurde die Sulzer Michaelskirche zur Mutterkirche der Wildberger Martinskirche. Das Recht, die Pfarrstellen zu besetzen und die Einnahmen aus den Kirchengütern zu erhalten - das sogenannte Patronat - beider Kirchen wurde 1377 von den Hohenberger Grafen als Landesherren an das Kloster Reuthin verkauft. Dies umfasste den großen Untersulzer Widdumhof mit Zehntscheuer und verschiedenen Gebäuden, sowie Ackerland auf dem Wildberger Käpfelesberg. 1392 wurde die Martinskirche selbstständig. Um 1450 wird sie erstmals als Martinskirche bezeichnet.

Die heutige Wildberger Martinskirche entstand um 1467, nachdem die vorherige Kirche 1464 bei einem Stadtbrand zerstört wurde. Erbaut wurde sie vom renommierten Stuttgarter Architekten und Baumeister Aberlin Jörg, der auch die drei Stuttgarter Innenstadtkirchen erstellte. An einem östlichen Außenpfeiler an der Straße ist die lateinisch Jahreszahl 1467 zu erkennen. In diesem Jahr, drei Jahre nach dem großen Stadtbrand, wurde wohl der Chor mit der neuen Kirche fertiggestellt. Zehn verschiedene Steinmetzzeichen, darunter einige mehrmals, können an den Rippenbögen des Chores entdeckt werden. Sie weisen auf ebenso viele Steinmetze hin, die am Chor gearbeitet haben.

Nach dem 1643 erstellten Kupferstich der Stadt von Matthäus Merian war es eine dreischiffige Basilika. Bis heute ist der Chor mit einem sechsstelligen Rippengewölbe erhalten geblieben. Drei Schlusssteine zeigen Christus mit seinen Wundmalen, Maria als Muttergottes mit dem Jesuskind sowie über der Orgel St. Martin auf dem Pferd und mit Schwert.

Die Kirche ist mehrfach verändert worden. 1609 wurde das Langhaus erweitert, 1772/1773 wurde die bisherige Basilika durch Erhöhen der Seitenschiffe in eine einschiffige Hallenkirche mit Seitenempore umgewandelt. Dabei wurde auch das Langhaus nach Westen nochmals erweitert.

Zur Zeit des Kirchenbaus war Wildberg noch relativ wohlhabend gewesen, verarmte aber in den folgenden Jahrhunderten. So konnten an der Kirche meist nur noch die allernotwendigsten Arbeiten und Reparaturen durchgeführt werden. 1691 wurde das Turmdach erneuert, 1787 waren Sturmschäden zu beheben, 1909 musste das locker gewordene Turmgebälk verfestigt werden und 1951/1952 mussten Kriegsschäden am Gebäude behoben werden.

In dem Kirchenbau haben verschiedene Epochen ihre Spuren hinterlassen. Darunter die moderne Kirchenfenster von Willy Widmann: dem "Martinsfenster" (1979), dem "Jerusalemsfenster" (1976) und dem Fenster "Die Fußwaschung" (2004). Das "Auferstehungsfenster" von 1934 stammt vom Künstler Walter Kohler.

Zwei Epitaphe und an der Wand eine Gruftabdeckung aus dem Jahr 1266 sind unter der Orgelempore aufgestellt. Im Untergeschoss des Turmes in der Südostecke des Kirchenschiffes ist durch zwei offene Tore ein Raum zugänglich. In der Raummitte steht ein zweiter Taufstein − ein Geschenk der evangelischen Kirchengemeinde Möttlingen nach Beseitigung der Kriegsschäden im Jahr 1955. Zum Andenken an die Gefallenen des ersten Weltkriegs ist das farbige Fenster aus dem Jahr 1934. In sechs Bildern ist Jesus als der Gekreuzigte, Gestorbene und Auferstandene zu sehen. An den Wänden befinden sich fünf Epitaphe, das älteste von 1561.

Die Kirchenglocken

Nach dem Krieg läuteten 1976 im Turm der Martinskirche erstmals wieder vier Glocken. Die erste und größte Glocke ist die Martinsglocke. Als älteste Glocke hat sie den großen Stadtbrand 1464 und beide Weltkriege überstanden. Bei einem Durchmesser von 1,36 Meter ist sie 1600 kg schwer. Der Glockenton ist g'. Als Dominika (Herrenglocke) wird sie nur bei vollem Geläute zum Gottesdienst verwendet. Am oberen Kranz befindet sich die Jahreszahl 1439, die Namen des Heiligen Martinus als Kirchenpatron und der vier Evangelisten sowie den Text: "hilf Got und Maria". Auf dem Mantel sind zwei Reliefs zu sehen: Der gekreuzigte und Maria mit dem Kind. In den beiden Weltkriegen mussten auch Wildberger Glocken als "Metallreserve" abgeliefert werden. Am 09.04.1942 wurde die älteste Wildberger Glocke im Turm zusammen mit einer weiteren Glocke aus dem Jahr 1919 zerschlagen und die Trümmer eingeschmolzen. Sie war etwas kleiner als die heutige Martinsglocke und wog ca. 1000 kg.

Die zweite Glocke , die schlesische Glocke, wird auch "Leihglocke" genannt. Sie stammt aus Seidenberg in Schlesien und wurde der evangelischen Kirche in Wildberg im Jahr 1952 "geliehen". Die Flüchtlinge und Vertriebenen glaubten damals noch an die Rückkehr der Glocke in ihre schlesische Heimat. Die schlesische Glocke trägt die Jahreszahl 1596 mit den Wappern von "Redern und Haubitz auf Alt-Seidenberg". Der Glockenton ist b'. Sie läutet beim Abendläuten, während des Vaterunsers, als Betglocke um 12 Uhr, und als Zeichenglocke eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst.

Die Heimkehrerglocke als dritte Glocke, wurde 1953 vom Ortsverband der "Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft" gestiftet und von Heinrich Kurtz gegossen. Am oberen Kranz befindet sich die Inschrift "Bringe uns wieder zu dir, daß wir heim kommen."  - auf dem Mantel "Den Kriegsgefangenen, Gefallenen und Vermissten zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung. Die Heimkehrer aus zwei Weltkriegen 1914 - 18, 1939 - 45, Wildberg, Weihnachten 1953". Ihr Glockenton ist c’.

Die vierte Glocke - die Auferstehungsglocke - läutet seit Ostern 1976 und wurde von der Firma Rinker in Sinn bei Wetzlar gegossen. Sie trägt den Text "Jesus Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Joh. 11, 25" Der Glockenton ist ein helles d’. Als Taufglocke läutet sie während der Taufhandlung und Einsegnung der Konfirmanden und wird an Ostern als Zeichenglocke (Zeitglocke) eingesetzt.

Während des zweiten Weltkrieges wurde die damals älteste Glocke der Martinskirche aus dem Jahr 1411 eingeschmolzen - sie trug die Inschrift "osana heiß ich - in gottes er leut ich". bernhard lachamann gos mich - 1411".